• BEHIND THE BEAT Producer Podcast

    #31 mit Vince Clarke

    Im Behind the Beat Podcast bittet Tobias Fischer spannende Produzenten zum Tiefen-Gespräch. Diese Folge dreht sich um Depeche-Mode- und Erasure-Legende Vince Clarke, der mit 63 sein erstes Solo-Album “Songs of Silence” aufgenommen hat – eine Sammlung atmosphärischer Experimente, Exkursionen und Exerzititen auf dem Eurorack.

    Wenn ich an Vince Clarke denke, denke ich in Farben: Die Regenbogenpalette auf dem Cover des Erasure-Albums “Circus”. Die hyperreal-kitschigen Lilatöne auf “Loveboat”. Sogar ihre Sounds klangen quietschig-grell – und lauteten nicht ihre letzten beiden Studiowerke auf die Namen “The Neon” und “Day-Glo”? Wenn ich an Vince Clarke denke, denke ich auch an das Video zu “Chorus”, in dem er und Andy Bell auf dem Strand herumturnten und Vince als verrückter Professor an einem gigantischen Modular-Synthie die Knöpchen drehte. “Ehrlich gesagt war das gar kein Synthie” meint Vince grinsend als ich ihn darauf anspreche, “Es war eine alte Telefonanlage!”

    Aber auch das passt. Denn wenn es jemandem zuzutrauen ist, sogar aus einem überholten Museumsstück die wundersamsten Klänge hervorzuzaubern, dann ist es zweifelsohne Vince Clarke. Seit nunmehr vierzig Jahren ist er der Tüftler und Schrauber im Hintergrund, der analoges Piepen, Knarzen, und Knattern in chartstaugliches Material sublimiert. Drei seiner Bands haben einen bleibenden Fußabdruck in der Musikgeschichte hinterlassen: Depeche Mode, mit ihrer Kombination aus Pop und Gothic. Yazoo, deren Fusion aus warmem Soul und kühler Elektronik ihrer Zeit bemerkenswert weit voraus war. Und schließlich Erasure, die inzwischen vielleicht konsequenteste Verkörperung der Synthie-Pop-Philosophie.

    Um so erstaunlicher, dass Clarke erst jetzt, mit inzwischen 63 Jahren, sein erstes Soloalbum unter eigenem Namen vorlegt. Der Schritt war, wie erwartet, der Pandemie geschuldet. Er habe sich schlicht, wie viele andere auch, zu Tode gelangweilt und eine Art akustisch Spielwiese gebraucht. Schon in vielen Interviews hatte er im Laufe der Jahre erwähnt, wie gerne er tiefer in das Potential seines Eurorack-Systems eintauchen wollte. Nun war der Moment gekommen. Es entstanden naïve Studien und Versuche, Mikro-Jams und Skizzen. Clarke konnte es selbst nicht glauben, als seine Plattenfirma Mute von den Ergebnisen begeistert war und sie unbedingt herausbringen wollte.

    Als Hörer darf man dankbar dafür sein. Denn so großartig Erasure in ihren besten Momenten bleiben: “Songs of Silence” ist ein willkomener Blick in eine komplett andere Dimension seines Schaffens. Statt Stimmen und Songstrukturen nutzt das Projekt die Magie der Wiederholung, sucht in einer Vielzahl bewusst gewählter Regeln und Limitierungen frische Inspiration. Drones und pulsierende Ambienttexturen, krautig klingelnde Sequenzen, verstörende Samples und ein wehklagender Gastauftritte eines Cellos ergeben ein dunkles, hyonotisierendes Werk ohne Refenzpunkte in Clarkes bisherigem Schaffen.

    Und das Cover? Ist natürlich schwarz-weiß.

    #30 mit Trevor Horn

    Im Behind the Beat Podcast bittet Tobias Fischer spannende Produzenten zum Tiefen-Gespräch. Diese Folge dreht sich um die Legende Trevor Horn, dessen Produktionen die 80er prägten.

    Was ist wichtiger: Der Song oder das Arrangement? Es ist eine Frage, die seit Generationen heiß diskutiert wird. Die 80er suggerierten, alles drehe sich um glänzende Oberflächen, glitzernden Detailreichtum und packend-ausufernde Intros. In den 90ern hingegen verkauften sich die CDs von MTVs Unplugged-Reihe, auf denen die Stücke oft auf wenig mehr als einer Wanderklampfe dargeboten wurden, wie geschnitten Brot. Wie passt das zusammen?

    Trevor Horn ist der vielleicht qualifizierteste Musiker, diese komplexe Frage zu beantworten. Denn wie seine Produktionen beweisen, sind die beiden Bereiche einerseits eigenständig, gleichzeitig aber nahezu untrennbar miteinander verbunden. Für das inzwischen sagenumwobene Arrangement zu Frankie Goes to Hollywoods “Relax” schwitzte er wochenlang von morgens bis Abends im Studio, bis alles saß. Doch als Seal mit dem späteren weltweiten Hit “Crazy” zu ihm kam, setzten sich die beiden zuerst gemeinsam ans Klavier, um an der Komposition zu feilen.

    Tatsächlich beweist Horns Karriere, dass Song und Arrangement einander brauchen, wenn beim Musikmachen etwas herauskommen soll, dass über aktuelle Trends hinaus Bestand haben soll. Nur wenige Produzenten haben über so viele Jahrzehnte hinweg so dauerhaft Erfolge feiern dürfen und man kann durchaus behaupten, dass sein Stern in den 90ern sogar heller strahlte als in den 80ern.

    Wohl auch deshalb finden sich auf seinem neuen Album “Echoes – Ancient & Modern” nicht nur Neufassungen alter Bekannter, sondern auch einige Überraschungen und aktuellere Titel. Gäste wie Tori Amos, H von Marillion, Seal und die unglaubliche Lady Blackbird sorgen zwar für ein vertrautes Feeling, doch sind die Sounds und Kompositionen allesamt derart komplett umgekrempelt, dass sie auch als neue Songs durchgehen könnten – und, so eng Arrangements und Songs bei Trevor Horn zusammengehören, sind sie das gewissermaßen ja auch.

    #29 mit Sickotoy

    Im Behind the Beat Podcast bittet Tobias Fischer spannende Produzenten zum Tiefen-Gespräch. Diese Folge dreht sich um Sickotoy, der Elemente rumänischer Musik mit moderner Elektronik verbindet und dafür bereits mit einem Grammy belohnt wurde.

    Es ist viel die Rede davon, wie auf globalisierten Märkten nur noch milliardenschwere Multinations überleben. Dabei sind in der Musik gerade die Kleinen oftmals die wahren Giganten. Man denke nur an den Einfluss, den Länder wie Schweden oder Jamaica auf die Charts ausüben, an Island als einen Geysir der Inspiration. Die nächste Revolution könnte in Rumänien zünden: Immer wieder findet man rumänische Produzenten in den Credits zu internationalen Hits, ihre Songs haben eine erkennbare Handschrift und die Szene quillt vor Talenten geradezu über.

    Alexandru Cotoi alias Sickotoy ist einer der führenden Vertreter dieser Bewegung. Seine Karriere begann mit einem Knall und als Teil der Backing-Band von Morandi, einem seinerzeit extrem erfolgreichen Projekt. Doch seine wahre Heimat war das Studio, nicht die Bühne. Bereits vier Jahre nach seiner Umorientierung als Produzent landete er einen unerwarteten Treffer, als der amerikanische Megastar Pittbull einen seiner Tracks für das Album “Dale” auswählte – später wurde “Baddest Girl in Town” sogar mit einem Grammy belohnt.

    Seitdem geht es mit Cotois Karriere weiter steil nach oben. Die rumänische Ikone Inna entschied sich bei ihrem Album “Heartbreaker” für Alex als ihren Stammproduzenten, auf der neuen Single “Bad Girls” kollaborierte er mit der Legende Wayne Hector (Britney Spears, Nicki Minaj, Kylie Minogue), und im vergangenen Jahr saß er sogar in der Jury von One True Singer, der rumänischen Fassung von The Voice of Germany.

    Die Basis für diese Erfolge liegt darin, wie Cotoi Elemente aus den unterschiedlichsten Kulturen und Genres organisch zusammenwebt. Ebenso wichtig ist indes seine Fähigkeit, sich bei sogenannten Writers Camps mit anderen Songwritern zusammenzuschließen und in spontanen Sessions der Kreativität freien Lauf zu lassen. Dabei kommt nicht nur Gold heraus, aber in der Summe eben doch viel Großartiges – und garantiert wieder einige globale Hits, die sein Profil weiter steigen lassen werden. Um Sickotoy und Rumänien im Allgemeinen wird man schon bald nicht mehr herumkommen.

    #28 mit Rodriguez Jr. – Kein Entkommen

    Im Behind the Beat Podcast bittet Tobias Fischer spannende Produzenten zum Tiefen-Gespräch. Diese Folge dreht sich um Rodriguez Jr., der auf „Feathers & Bones“ sinnlichen House mit hypnotischem Songwriting und ganz viel Atmosphäre verbindet.

    Der vielleicht schönste Track auf „Feathers & Bones“” ist gerade einmal zweieinhalb Minuten lang und steht ganz am Ende: „Tape #2“ ist ein magischer Loop aus an- und abschwellenden Pads, feinem analogen Kratzen und einer Melodie, die direkt von der Venus auf die Erde gebeamt wurde. Solche Momente gibt es auf diesem Album immer wieder. Es ist das inzwischen vierte aus der Feder von Olivier Mateu und möglicherweise das beste. Nach dem phänomenalen, Minimal-angehauchten Traumdebüt „Bittersweet“ markierte „Bliss“ 2020 den Beginn von etwas Neuem – ein Rundumschlag, der auch Acid-Lines und Breakbeats mit einschloss.

    „Feathers & Bones“ setzt diesen Weg konsequent fort und kann als Selbstfindung gedeutet werden. Weshalb das Werk nun auch auf seinem eigenen Label erscheint. Zentral steht hier das Pendeln zwischen Instrumentals und Vocal-Tracks, zwischen Treiben und Tanzen. Die Songs sind unglaublich vielschichtig, aber niemals überladen – viele Klangelemente, darunter unzählige Field Recordings aus Mateus‘ Archiv, sind so subtil zusammengemischt, dass man sie erst beim wiederholten Hören bemerkt.

    Die Wirkung aber ist alles andere als subtil. Auch dank der Sorgfalt, die in den Atmos-Mix investiert wurde, ist „Feathers & Bones“” eine Scheibe, die begeistert und lange nachwirkt. Und die Lust macht auf den Nachfolger – an dem Rodriguez Jr. natürlich längst arbeitet.

    #27 mit Carl Cox – Stillstand ist der Tod

    Im Behind the Beat Podcast bittet Tobias Fischer spannende Produzenten zum Tiefen-Gespräch. Diese Folge dreht sich um Elektronik-LegendeCarl Cox, der nach elf Jahren Pause für ein neues Album ins Studio zurückgekehrt ist – und dabei den Spaß am Produzieren wiederentdeckt hat.

    “All Roads lead to the Dancefloor” hieß das letzte Carl Cox Album, aus dem Jahr 2011. Und tatsächlich sah es lange so aus, als folge Cox diesem Titel wörtlich. Eine Dekade lang widmete er sich vollkommen der Kunst der Kanzel, belebte sein Intec-Label wieder und förderte junge Talente. Seine Ambitionen als Musiker aber schien er an den Nagel gehängt zu haben.

    Und dann, wie aus dem Nichts kehrt er mit einem neuen Album zurück. Und klingt darauf vielleicht frischer denn je. An die Vielseitigkeit seiner Sets angelehnt, wirbelt sich der Altmeister im Titeltrack von “Electronic Generations” durch pumpenden Electro, schüttelt mit bestechender Lässigkeit ätzend-euphorische Acid-Hymnen (“Get After it” sowie das vollkommen entfesselte “World Gone Mad”) und episch stampfenden Mainroom-Techno (“How it makes you feel”, “Heads Up”) aus dem Ärmel. Sogar eine bemerkenswert gelungene Fusion aus 70er-Jahre-Sequencern und House findet sich hier (“Toys out of the Pram”).

    Siebzehn eklektische Tracks in allen Farben des elektronischen Regenbogens finden sich auf “Electronic Generations” – keines seiner bislang fünf Alben ging ihm so leicht und schnell von der Hand wie dieses. Entcheidenden Anteil daran hatte sein neues, auf schnelle Umsetzung und Live-Einsatz ausgelegtes Set-Up. So entstanden alle neuen Stücke aus spontan-verspielten Jam-Sessions, die anschließend kaum, wenn überhaupt, editiert wurden. Auch der Plattenfirma machte Cox unmissverständlich klar: Die Tracks werden entweder so veröffentlicht wie sie sind – oder gar nicht.

    Back to the Roots? Nicht für Cox, der bisher als Perfektionist bekannt war. Vielmehr stellte der Schritt in Richtung Augenblicklichkeit für ihn ein Wagnis dar, eine neue Herausforderung in einem Alter, in dem die Durchschnittsbürgerin bereits von der Rente träumt. Warum er sich aber doch dazu entschlossen hat, erklärt der Titel seiner neuen, mit dem britischen Produzenten Bushwacka! Engespielten Single: “Music is Life” – und Stillstand ist der Tod